Neugier, Mut und Abenteuer

Frau Dr. Siemer (links) erläuterte die besonderen Sichtweisen der Fotografinnen. Foto: CP

19 Interessierte waren der Einladung des Kunstvereins gefolgt und reisten am 4. Juni zu den Internationalen Tagen Ingelheim, um zu erleben, welche Motive Fotografinnen im Laufe von 100 Jahren auf ihren Reisen festgehalten haben. 21 Fotografinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren mit über 170 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien aus der Zeit der 1920er Jahre bis in die Gegenwart in drei Ausstellungsschwerpunkten vertreten.

Unsere Begleiterin durch die Ausstellung, Frau Dr. Siemer, vermittelte anhand der frühesten Exponate, wie sich die professionell ausgebildeten Fotografinnen im Auftrag zahlreicher Verlage emanzipiert, selbstbestimmt und unabhängig allein auf Reisen begaben und unter teils beschwerlichen Bedingungen ihre exotisch wirkenden Bilder von fernen Ländern in die Wohnzimmer der Zeitschriftenleser brachten, zu einer Zeit, als es noch keinen Pauschaltourismus gab.

Beeindruckend auch der zweite Schwerpunkt mit Fotografien, die historische Stätten oder Städte im Wandel dokumentierten – oftmals bedroht durch Krieg, Umweltzerstörung oder Klimawandel.

Welche Formen freier künstlerischer Projekte wählen Fotografinnen? Experimente mit den technischen Möglichkeiten und serielle Fotografie bildeten den dritten Ausstellungsschwerpunkt.

Ob schwarzweiß oder farbig, analog oder digital, kleines oder großes Format, Portrait oder Natur, Dokumentation oder Interpretation durch Nachbearbeitung – alle Techniken, Formate und Inhalte waren vertreten. Gibt es eine weibliche Kameraperspektive? Das bleibt der Betrachterin und dem Betrachter überlassen zu beurteilen. Sicher ist, dass der Titel der Ausstellung „Neugier, Mut und Abenteuer“ die individuelle Bildsprache und Kreativität der Künstlerinnen treffend widerspiegelt.

Frau Dr. Siemer verstand es, die besonderen Sichtweisen der Fotografinnen zu erläutern, den Blick auf Details zu lenken und die einzelnen Persönlichkeiten vorzustellen. Und plötzlich sah mancher die Werke anders, sah mehr, sah neu. Dies war das einhellige Fazit der Besucherinnen und Besucher. BMM/CP

Heinz Battke – facettenreicher Künstler und Grandseigneur

Marian Stein-Steinfeld porträtierte den für viele unbekannten Künstler Heinz Battke. Foto: BMM

Wie kann man ein ereignisreiches, bewegtes (Künstler-)Leben in 90 Minuten präsentieren? Marian Stein-Steinfeld verstand es, in ihrem Vortrag im gut besuchten Stadtmuseum den für viele unbekannten Künstler Heinz Battke auf persönliche Art zu porträtieren.

Heinz Battke wurde im Jahr 1900 in Berlin geboren und bezeichnete sich in feiner Selbstironie als Angehörigen des “Jahrgangs 00”. Mit 18 Jahren besuchte er die private Kunstschule von Adolf Propp in Berlin, zeitgleich mit Lotte Laserstein, und wurde dann Schüler von Karl Hofer an der Preußischen Akademie der Künste. Er arbeitete als Typograph und Gebrauchsgrafiker.

Darüber hinaus engagierte er sich zunächst ehrenamtlich für das Berliner Schlossmuseum und entwickelte sich zu einem kenntnisreichen Wissenschaftler auf dem Gebiet historischer Ringe. Aus diesem Interesse heraus baute er seine sehenswerte private Ringsammlung auf, die sich heute zum Teil im Schmuckmuseum Pforzheim befindet. Von dort stammten auch die Ringe in der aktuellen Ausstellung.

Auf seinen Reisen durch Europa entstanden Ölbilder und Aquarelle mit Landschaften und Stillleben. Ausdruck seiner künstlerischen Selbstbefragungen schlugen sich in zahlreichen Selbstbildnissen nieder.

Es ist anzunehmen, dass Heinz Battke aufgrund der zunehmend bedrohlichen politischen Situation 1935 das Angebot ablehnte, die Leitung einer Malklasse an der Rheinischen Kunstakademie zu übernehmen und seiner Mutter ins Exil nach Florenz folgte. Im Folgejahr wurde er aus der Reichskulturkammer als “entarteter” Künstler ausgeschlossen. Das schützte ihn jedoch nicht davor, 1941 von der Wehrmacht wegen seiner Italienisch-Kenntnisse als Dolmetscher in Sizilien verpflichtet zu werden. Von den Alliierten wurde er dann als Angehöriger der Wehrmacht bis Juli 1945 im Lager Padula interniert. Der Maler Heinrich Steiner schilderte Battkes Aussehen nach der einjährigen Internierung: “Er war grauhaarig geworden. Die Lagerzeit war für ihn sehr hart geworden.” In dieser Zeit fing er an zu zeichnen und behielt dies vorrangig als künstlerische Ausdruckstechnik bei.

In Florenz stand Heinz Battke in freundschaftlichen Verbindungen zu vielen anderen Emigranten, insbesondere zu Hans Purrmann, Emy Roeder und Rudolf Levy. Nach dem Krieg unterstützte er Genia Levy dabei, verbliebene Werke von Rudolf Levy aufzuspüren. Er hatte Bilder, die in Florenz lagerten, gesichert.

Nach diesen höchst eindrücklichen Schilderungen, die auch das Schicksal anderer von den Nationalsozialisten verfolgter und verfemter Künstler streiften, hatte Marian Stein-Steinfeld noch Stimmen von Battkes Freunden parat:

“Trat er in einen Raum, einen Kreis ein, dann merkte jeder der Anwesenden auf – nicht eigentlich der ansehnlichen Erscheinung wegen, auch nicht der besonderen Haltung wegen, die etwas Überzeitliches hatte, sondern es ging eine Ausstrahlung von ihm aus, die irgendwie jeden traf.” (Hanna Bekker)

“In Gesprächen war er nie witzig, aber voll Esprit, ein Liebhaber feiner Ironie und großer Gesten.” (Kunsthistoriker Wieland Schmied)

Den “musikalischen” Ausklang dieses erkenntnisreichen Abends bildete die ausdrucksstarke Zeichnung “Gershwin-Konzert” von 1959. BMM/CP

Launige Führung durch die Römerstadt

Journalist Oscar Unger (4.von rechts) erfreute die Teilnehmer mit sachkundigen und launigen Erläuertungen. Foto: NP

Eine Führung durch die Römerstadt am 10. Mai sollte das, was Kunsthistorikerin Corinne Elsesser in ihrem Vortrag im April so sachkundig referiert hatte, illustrieren. Das Mitglied der Ernst-May-Gesellschaft, der Journalist Oscar Unger, führte beredt und launig die 19 Teilnehmer. Nach einer Einführung auf der dem May Haus gegenüberliegenden Bastion mit Blick in das Niddatal hatten alle Teilnehmer die Gelegenheit, das original wiederhergestellte May-Haus mit seiner genau durchdachten Raumplanung anzuschauen.

Besonders eindrücklich waren die Details der Küchenplanung von Margarete Schütte-Lihotzky – um die in der Küche arbeitende Hausfrau zeitsparend zu entlasten, war alles sehr funktionalistisch durchgeplant auf kleinem Raum, etwa mit Schütten für die Aufbewahrung der Lebensmittel, ausziehbaren Abstellflächen oder dem an der Wand befestigten, abklappbaren Bügelbrett in Griffweite zu dem auf dem Herd erhitzten Bügeleisen. Diese Küche gilt als Ur-Modell unserer Einbauküchen und wird als „Frankfurter Küche“ in Museen weltweit ausgestellt – unter anderem im MoMa in New-York

Die Helligkeit der Wohnräume und die klare, durchdachte Struktur begeisterten die Besucher.

Die Häuser der Römerstadt gehören dem Städtischen Wohnungsbaukonzern ABG, auch wenn manche schon lange in Familienhand sind. Beim Gang durch die Straßen sahen wir den unterschiedlichen Erhaltungszustand, und Oscar Unger machte aufmerksam auf nicht denkmalgerechte Dämmung, dem jeweiligen Zeitgeist geschuldete „neue“ Eingangstüren und andere unterschiedliche, leider nicht einheitlich gestaltete „Modernisierungen“.

Zu den Häusern gehören jeweils Gärten, geplant zur Selbstversorgung und zum Aufenthalt im Freien. Auch zu den Wohnungen gehörten Kleingärten – unterhalb der Bebauung liegen zum Niddatal hin mehrere Kleingartenanlagen.

Die Häuser in der Römerstadt waren eher für den Mittelstand geplant, während andere Siedlungen „Wohnungen für das Existenzminimum“ schaffen sollten. Die Römerstadt war die erste voll elektrifizierte Wohnsiedlung, und überhaupt gestaltete das Neue Bauen seine Gebäude auf dem neuesten Stand moderner Technik.

Da auch die Versorgung wohnungsnah sein sollte, wurden Kindergärten, Schulen – wir passierten die Geschwister-Scholl-Schule –, Gemeinschaftsräume und Geschäfte (im Erdgeschoß des langen, entlang des Straßenverlaufs geführten Gebäudes an der Hadrianstraße, das durch die Krümmung und die „Bullaugenfenster“ an ein Schiff erinnert) mitgeplant.

Die Führung endete im Modellgarten der May-Gesellschaft mit dem wiederhergestellten originalen Gartenhaus von Margarete Schütte-Lihotzky. Alle Teilnehmer erfreuten sich an den lebendigen Ausführungen von Oscar Unger, und auch das schöne Wetter mit angenehmen Temperaturen und blauem Himmel trug zur guten Stimmung bei. HB