30 Mitglieder des Kunstvereins ließen sich von der fordernd-frühen Abfahrt um 7 Uhr am Busbahnhof Hofheim nicht schrecken und erlebten auf der diesjährigen Kunstreise drei sehr interessante und kurzweilige Tage.
In Soest und Werther-Arrode wurden wir von der Ausdrucksstärke und Farbigkeit der Bilder zweier nur wenigen bekannten expressionistischer Maler überrascht.
Das Museum Wilhelm Morgner in Soest besitzt mit 60 Gemälden und über 300 Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken des von 1891 bis 1917 lebenden Malers über die größte Sammlung an Arbeiten Wilhelm Morgners. Im Eingangsbereich steht man vor dem eindrucksvollen und etwas spöttischen Selbstporträt des nur 19 Jahre alten Morgners. Weitere Bilder, Aquarelle und Zeichnungen illustrieren die rasche Entwicklung des bald erfolgreichen Malers in Richtung Abstraktion.
Morgner konnte Arbeiten in wichtigen Ausstellungen zeigen. Von 1911 bis 1913 nahm er an Ausstellungen der Neuen Secession in Berlin, des Blauen Reiters in München und des Sonderbundes in Köln teil. Ebenso war er an der 4. Ausstellung der Juryfreien in Berlin und in der Ausstellung Deutsche Graphik in Tokio vertreten. Morgener war nur eine kurze Schaffensperiode vergönnt. 1913 wurde er zum Militär eingezogen und kam im Alter von nur 26 Jahren bei Kampfhandlungen in Flandern ums Leben.
Noch ganz neu ist das in Werther-Arrode erst 2018 eröffnete moderne Museum, das Peter August Böckstiegel gewidmet ist und das wir ebenso besichtigten wie das Künstlerhaus in direkter Nachbarschaft.
Peter August Böckstiegel, ein Zeitgenosse Morgners, lebte von 1889 bis 1951. Er wuchs als fünftes von sechs Kindern in einer Kleinbauern- und Leinenweberfamilie in einfachsten Verhältnissen auf. Bereits in der Volksschule wurde seine künstlerische Begabung deutlich. Ab 1907 wurde Böckstiegel in die neu gegründete Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld aufgenommen. 1909 besuchte er mit Mitschülern das Folkwang-Museum in Hagen, wo Werke von Paul Gauguin, Paul Cézanne, Édouard Manet, Auguste Renoir, Auguste Rodin und Anselm Feuerbach ausgestellt waren. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied der Bielefelder Künstlergruppe Rote Erde. 1912 sah er erstmals Bilder von Vincent van Gogh, die ihn sehr beeindruckten. 1913 wechselte er nach Dresden an die Akademie der Bildenden Künste, wo er den acht Jahre jüngeren Conrad Felixmüller und wenig später dessen Schwester Hanna Müller, seine spätere Frau, kennenlernte.
Die Führung durch den schönen hellen Museumsbau war sehr kompetent. Wir erfahren unter anderem, dass der Künstler ein Familienmensch war. Seine Eltern, obwohl sehr arm, förderten ihn nach Möglichkeit. Diese Verbundenheit führte dazu, dass er seine Modelle meist in der Familie suchte: Eltern, Tante, Frau, Kinder, die ganze Familie. Bei der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 wurden sein Atelier mit über tausend seiner Werke, Plastiken, Gemälde, Zeichnungen, Druckstöcke und Radierplatten vernichtet. Er kehrte zurück in das durch sein künstlerisches Schaffen durch und durch geprägte Elternhaus, in dem er am 22. März 1951 starb. Zur bevorstehenden Städelausstellung Making van Gogh werden beide Künstler, Morgner und Böckstiegel, mit je einem Bild vertreten sein.
Den Kontrast zur expressionistischen Kunst setzte die Ausstellung Haltung & Fall – Die Welt im Taumel im 2005 von Frank Gehry erbauten Marta Museum in Herford, die gesellschaftliche Themen in den Fokus nimmt: Kunst mit und über Haltungen – im körperlichen wie im übertragenen Sinn. Zwischen politischer Aufladung und poetischer Auflösung spielen die 25 Künstler*innen mit der Widersprüchlichkeit dieses Begriffspaars. Die Gegenüberstellung von „alter“ und moderner Kunst illustrierte den enormen Wandel des Kunstbegriffs seit der Mitte des letzten Jahrhunderts und gab Anlass zu viele Diskussionen.
Neben den Museen sind auch die Altstädte von Soest und Herford absolut sehenswert. Beim Gang durch die Kirche Maria zur Höhe in Soest konnten wir prächtige Wandmalereien aus der Frühgotik betrachten. Der Stadtführer des 789 gegründeten Herfords zeigte uns aber nicht nur stattliche Kirchen, sondern auch bestens renovierte Gebäude aus der Renaissance, die den früheren Wohlstand beider Hansestädte belegen.
Nach dem abschließenden Dinner mit ebenso anregenden wie heiteren Tischgesprächen stellten wir uns noch zu einem Abschiedsfoto vor der Skulptur Der Ball von Lucio Fabro auf dem Schillerplatz-Kreisel auf. Gemeinsam mit Hartmut Hahn, dem wir die tolle Organisation dieser Reise zu verdanken haben. Es hat alles hervorragend geklappt, bravo und vielen Dank Hartmut.
Reinhard Schmidt
Fotos: Schmidt (5), Wikipedia, Marta-Herford