
Die Tagesfahrt am 19. März nach Darmstadt auf die Mathildenhöhe und zum Geburtshaus von Georg Büchner nach Goddelau weckte großes Interesse, war schon früh ausgebucht. Pünktlich um 10 Uhr früh verließ der Bus mit 29 Teilnehmern Hofheim. Das Vormittagsprogramm bestand in einer Besichtigung wesentlicher Bauten des Ensembles „Mathildenhöhe Darmstadt“, das seit dem 24. Juli 2021 als UNESCO-Welterbe anerkannt ist.
Ernst Ludwig, der letzte Großherzog von Hessen, war ein den Künsten zugeneigter Herrscher, der unter dem Motto „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst“ 1899 die Darmstädter Künstlerkolonie („Mathildenhöhe“) gründete. Er erwartete aus einer Verbindung von Kunst und Handwerk eine wirtschaftliche Belebung für sein Land. Das Ziel der Künstler sollte die Erarbeitung neuzeitlicher und zukunftsweisender Bau- und Wohnformen sein. Er berief den Architekten Joseph Maria Olbrich und weitere sechs Jugendstilkünstler. Als gemeinschaftliches Ateliergebäude, einen „Tempel der Arbeit“ mit Ateliers für alle auf dem Musenhügel ansässigen Künstler, plante Olbrich 1901 das Ernst-Ludwig-Haus.

Das Ateliergebäude war auch das Festgebäude der Künstlerkolonie. In der Mitte des Hauptgeschosses lag der Versammlungs- und Festraum. Links und rechts schlossen sich je drei Ateliers der Künstler an. Die sechs Meter hohen Kolossalfiguren Kraft und Schönheit flankieren den Eingang, der in einer Portalnische mit vergoldeten Pflanzenornamenten liegt. Über dem Eingang steht die Inschrift SEINE WELT ZEIGE DER KÜNSTLER – DIE NIEMALS WAR NOCH JEMALS SEIN WIRD.
Die erste Ausstellung der Künstlerkolonie mit dem Titel “Ein Dokument deutscher Kunst” fand von Mai bis Oktober 1901 statt. Ausstellungs- und (!) Kaufobjekte waren die individuellen Künstlerhäuser samt ihren Inneneinrichtungen wie Möbel, Plastiken, Malerei, Keramiken, Gläser, Silberwaren und Schmuck! Wie in einem Einrichtungshaus (IKEA aber weit exklusiver und einzigartig), scherzte unsere kompetente Führerin. Die Schau erregte weit über die Grenzen Darmstadts hinaus Aufsehen, endete aber trotzdem mit einem größeren finanziellen Defizit.
Die zweite Ausstellung zeigte nach den großen finanziellen Verlusten bei der ersten fast nur provisorische Bauten.
Die dritte Ausstellung 1908, an der nur hessische Künstler und Handwerker teilnehmen sollten, hatte als Schwerpunkt eine Kleinwohnungskolonie, um zu zeigen, dass moderne Wohnformen auch mit geringen finanziellen Mitteln möglich waren.
Das Wahrzeichen Darmstadts ist der 48,5 m hohe Hochzeitsturm, der auf der Mathildenhöhe steht. Olbrich gestaltete den 1908 fertiggestellten Backsteinturm im Auftrag der Stadt Darmstadt als Geschenk zur Erinnerung an die Hochzeit des Großherzogs Ernst Ludwig mit Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich am
2. Februar 1905. Markant sind die fünf abschließenden Bögen des Daches, die an eine ausgestreckte Hand erinnern, weshalb er auch. „Fünf-Finger-Turm“ genannt wird. Der Turm wird dem Jugendstil zugeordnet. Als Gebäude gehört er zum Komplex des damals neuen Wasserreservoirs und der asymmetrischen Ausstellungshalle.

Zum Ensemble „Mathildenhöhe Darmstadt“ gehört auch die Russische Kapelle, die kurz vor der Gründung der Künstlerkolonie erbaut wurde. Der Sakralbau wurde von1897 bis 1899 auf importierter russischer Erde im Stil russischer Kirchen des 16. Jahrhunderts errichtet. Auftraggeber war der Zar Nikolaus II., der bei Besuchen in der Heimat der Zarin Alexandra, gebürtige Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt, nicht auf ein eigenes Gotteshaus verzichten mochte.
Das Innere der Kapelle ist mit Mosaikarbeiten und Ausmalungen ausgeschmückt. Diese Arbeiten waren erst 1903 vollendet. 1918 ging die Hofkapelle in den Besitz der Russisch-Orthodoxen Diözese über.
Zu unserem Vormittagsprogramm auf der Mathildenhöhe gehörte auch eine Führung durch die Ausstellung „4 – 3 – 2 – 1 Darmstadt“ im umfassend sanierten Ausstellungsgebäude Olbrichs von 2008. Die Ausstellung bietet einen Streifzug durch 200 Jahre der Kunststadt Darmstadt und ihrer Region.
Der folgende Abschnitt ist einer Rezension der Frankfurter Rundschau vom 20. September 2024 entnommen: Die vier Räume des 1000 qm großen Ausstellungsraums sind so gestaltet, dass sie verschiedene Viertel der Stadt abbilden, die den Kunstwerken oder den dort verorteten Mitgliedern der Darmstädter Kunstszene zugeordnet sind. So werden historische Ereignisse der Stadt beleuchtet und außergewöhnliche Persönlichkeiten vorgestellt, die hier gelebt und gearbeitet haben.
Ein Bereich vor schwarzem Hintergrund zeigt Bilder, die sich mit der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg beschäftigen, im Zentrum der mehrteilige „Totentanz 1944“ von Karl Deppert.

Eine Halle ist der Rosenhöhe gewidmet. Zu sehen ist unter anderem der Entwurf eines Mausoleums für die großherzogliche Familie von Heinrich Jobst. Ansichten des historischen Stadtkerns, des Prinz-Emil-Schlösschens, von Woog und Stadtwald, der Stadtkirche und der Synagoge sind ebenso zu finden wie Drucke der Darmstädter Sezession oder der Darmstädter Torso, eine Büste von Bernhard Hoetger.
Von der Anschaffung dieser Marmorbüste von 1910, die den Titel „Die Jugend“ trägt, habe sogar die US-Presse berichtet, erzählt Kulturreferent Gutbrod. Sie sei die wichtigste Skulptur der Stadt und habe früher im Speisesaal des Neuen Palais gestanden. Überhaupt habe Darmstadt, unter anderem als eine der ersten elektrifizierten Städte der Welt, durch seine Künstlerkolonie für große Aufmerksamkeit in der Welt gesorgt. Deshalb ist ein Bereich auch dem Thema Elektrizität gewidmet.
Auch Lilien-Fans dürften auf ihre Kosten kommen, denn ein Abschnitt widmet sich der Serie „Fußball“ aus dem Nachlass von Hartmuth Pfeil, von dem ein Entwurf sogar auf einem Trikot des SV Darmstadt 98 landete.
Man erfährt auch, dass Darmstadt nach dem Zweiten Weltkrieg Kunstschaffende in die Stadt einlud, um hier tätig zu werden. Ein besonders ungewöhnlicher Fall sei die Rückkehr des orthodoxen Juden Ludwig Meidner, sagt Gutbrod. Er hatte 1919 für die spätexpressionistische Zeitschrift „Das Tribunal“ das Titelbild entworfen und war vor den Nazis geflohen. 1963 zog er nach Darmstadt, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Er wurde 1966 auf dem Jüdischen Friedhof in Darmstadt bestattet.

Weitere Darmstädter Werke sind oben rechts das Selbstporträt des Bildhauers Thomas Duttenhoefer, das Bild links, das den Komponist Ulrich Engelmann zeigt und eine Batik von Rosemarie Engelmann. So ist die Ausstellung eine Einladung an Menschen, die sich nicht nur für Kunst und sondern auch für die Geschichte der Stadt interessieren und wissen wollen, wie Kunstschaffende die Stadt ihrer Zeit wahrnahmen.
Nach den Besichtigungen stärkten wir uns im Café-Restaurant Mathildenhöhe. Am Nachmittag stand der Besuch des Büchnerhauses in Goddelau auf dem Programm.
Im obersten Geschoss des kleinen Fachwerkhauses kam am 17. Oktober 1813 Georg Büchner als Sohn des Distrikt-Arztes Ernst Büchner und dessen Ehefrau Louise Caroline Büchner, geborene Reuß, zur Welt.

Zu Beginn, bevor wir uns in dem kleinen Museum umsehen konnten, führte uns Peter Brunner, der Leiter des Büchnerhauses, in einem kleinen gut bestuhlten Raum mit einem einstündigen, fulminanten, Vortrag in das Leben des bedeutendsten deutschen Schriftstellers des Vormärz ein, der mit nur 23 Jahren nach kurzem und intensivem Leben am 19. Februar 1837 in Zürich starb.
Die Bildung ihrer Kinder war den Eltern Büchner extrem wichtig. Schon mit 8 Jahren erhielt Georg Unterricht von der Mutter. Sie brachte ihm Lesen, Schreiben und Rechnen bei und die Bibel nahe. Sie lehrte ihm zahlreiche Volkslieder und klassische Werke von Schiller. In der Schule interessierte sich Georg Büchner nicht sonderlich für alte Sprachen wie Griechisch und Latein, eher für die damals in Schulen stark vernachlässigten Naturwissenschaften. Büchner lernte in der Schulzeit auch die Geschichte der Französischen Revolution kennen, die später noch Eingang in sein Werk Dantons Tod finden sollte.
Straßburg
Am 9. November 1831 schrieb sich der 18-jährige Georg Büchner in die medizinische Fakultät der Universität Straßburg ein. Dort wohnte er in dem Haus des evangelischen Pfarrers Johann Jakob Jaeglé und lernte dessen Tochter Wilhelmine kennen. Georg Büchner trat immer häufiger für politische Freiheiten ein. Er hielt am 24. Mai 1832 vor der Studentenvereinigung einen Vortrag über die politischen Verhältnisse in Deutschland. Im gleichen Jahr verlobte er sich heimlich mit Wilhelmine Jaeglé. Die Zeit in Straßburg nannte Büchner später seine glücklichste Zeit. Im Frankreich der Juli-Revolution war das politische Klima sehr viel offener als in Darmstadt. In Straßburg lernte er die französischen Gesellschaft der Menschenrechte kennen. Sie diente ihm später als Vorbild für die von ihm gegründete Gesellschaft der Menschenrechte.
Gießen
Da das feudale Darmstädter Regime maximal zwei Jahre Studium im Ausland erlaubte, wechselte Georg Büchner im November 1833 an die Universität in Gießen.
Hier im Großherzogtum Hessen erlebte er unmittelbar die Schikanen der Obrigkeit und die Gewalt im Staat.
Aus dieser Zeit sind uns große gesundheitliche Probleme von Büchner überliefert. Es bedrückte ihn nicht nur die Trennung von seiner Geliebten, sondern ihm missfiel die gesamte Situation. Im Vergleich zu Straßburg hatten ihm die Lehrer in Gießen nichts zu bieten. Auch mit den Kommilitonen war er unzufrieden. Zwar gab es oppositionelle Bestrebungen, doch diese waren ihm nicht radikal genug. Er gründete zusammen mit ehemaligen Schulkameraden aus Darmstadt, die zu diesem Zeitpunkt wie er in Gießen studierten, und weiteren Studenten sowie ein paar Handwerkern die Gesellschaft für Menschenrechte, eine Geheimorganisation nach französischem Vorbild, deren Ziel ein Umsturz der politischen Verhältnisse war. Die Zahl der Mitglieder war jedoch klein.

Im Juli 1834 wurde von Büchner Der Hessische Landbote verfasst. Es handelt sich um eine Flugschrift, die unter der Parole “Friede den Hütten! Krieg den Palästen!” die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufrief. Bei der Landbevölkerung hatte die Schrift einigermaßen Erfolg, weshalb sogar eine zweite Auflage aufgesetzt wurde. Die Verfasser arbeiteten mit Statistiken, die der Landbevölkerung vor Augen führen sollten, wie sie mit ihrer Steuerlast den überzogenen Hof finanzierten. Im August wurde Karl von Minnigerode, ein Schulfreund und Mitverschwörer, mit 150 Exemplaren des Landboten gefasst und verhaftet. Am 4. August wurde das Zimmer Büchners in Abwesenheit durchsucht. In der Folge wurde er steckbrieflich verfolgt und musste ins Exil. Über Weißenburg floh er nach Straßburg.
Exil in Straßburg und Zürich
Sein Wirken war gewaltig. In Straßburg schrieb er innerhalb von zwei Jahren mehrere Arbeiten: Das Drama „Dantons Tod“, das das Scheitern der Französischen Revolution zum Thema hat. Die Erzählung „Lenz“, die von den seelischen Leiden des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz handelt. Das Lustspiel „Leonce und Lena“ und die Tragödie „Woyzeck“, die aber ein Fragment blieb. Im Winter 1835 widmete er sich wieder der Wissenschaft. Er erforschte das Nervensystem der Fische und vollendete im folgenden Jahr seine Dissertation „Abhandlung über das Nervensystem der Barbe“. Er wird Mitglied der Gesellschaft für Naturwissenschaft in Straßburg.
Mit dieser Arbeit wird er schließlich an der Universität Zürich Ende 1836 zum Privatdozenten ernannt. Jetzt, wo der geniale Mann angekommen ist, erkrankt er schwer an Typhus, woran er am 19. Februar 1837 stirbt. Er wurde auf dem Züricher Friedhof Krautgarten auf dem Zeltberg beerdigt.
Post scriptum:
Eine hervorragende Quelle zum Leben Georg Büchners findet man unter http://buechnerportal.de. Das Büchnerportal ist wissenschaftlich fundiert, intelligent verknüpft und gut lesbar. RS