
Im gut besuchten Malersaal der Hofheimer Stadthalle nahm Alessandro D’Avenia aus Italien, dem Gastland der diesjährigen Buchmesse, Platz. Er las aus seinem in deutscher Sprache erschienenen Roman „Der blinde Lehrer“.
Man merkt Alessandro D’Avenia an, dass er immer noch als Lehrer tätig ist und diese Tätigkeit mit Herzblut lebt. Zu Beginn des Abends erzählte er auf seine charmante Art, dass das deutsche Wort Beruf, das auch den Begriff Berufung beinhaltet, sehr gut auf die Profession Lehrender passt. In diesem Sinne begreift er Lernen und Lehren als Beziehungsarbeit und thematisiert in seinem Roman, wie dies in der Arbeit mit jungen Erwachsenen Tag für Tag passieren kann.
Der Held des Romans, der Lehrer Omer Romeo – fast ein Anagramm, das an den Gelehrten Homer und den italienischen Liebenden Romeo denken lässt -, ist blind. Mit diesem literarischen Schachzug gelingt es D’Avenia, einen anderen Blick auf die Begegnung zwischen Lernenden und Lehrenden zu entwickeln: Die Schülerinnen und Schüler, die ihr Lehrer nicht sieht, müssen täglich eine Episode von sich erzählen, damit er sie kennenlernen kann. Wie seine literarische Figur ist D’Avenia davon überzeugt, dass diese Art der Kommunikation eine intensivere Beziehung ermöglicht.
Wenn man nur einen Tag mit geschlossenen Augen verbringe, liebe man die Welt auf ganz neue Art. In der heutigen Welt müssten wir wieder lernen zu tasten, zu berühren, uns berühren zu lassen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, dass Berührungen das Immunsystem stärken. Der Grundstein dafür könne nicht nur im familiären Umfeld, sondern auch in der Schule gelegt werden, so der Autor.
Dass das Wort Maestro im Italienischen sowohl für den Lehrer als auch für den Leiter eines Chores oder Orchesters verwendet wird, verweist auf sehr ähnliche Aufgaben, die diesen Rollen zukommen. Viele unterschiedliche Stimmen müssen zusammenspielen unter Beibehaltung ihrer Eigenständigkeit und unter Berücksichtigung eines harmonischen Ganzen. Mit diesem Plädoyer des Autors schloss die Moderatorin und Übersetzerin Viktoria von Schirach den Abend. NP