Die Zeit, die es dauert

Die Akteure bei unserer Buchmesse-Lesung: Autorin Hanne Ørstavik (Mitte) aus dem Buchmesse-Gastland Norwegen mit Übersetzer Andreas Donat und Moderatorin Viktoria Pollmann aus dem Kunstverein-Arbeitskreis.

Der Kunstverein Hofheim hat in Kooperation mit der Stadtbücherei und der Stiftung Leseland Hessen zur Buchmesse wieder eine Autorin des Gastlandes der Buchmesse, in diesem Jahr Norwegen, eingeladen, wie es seit über 20 Jahren bei uns Tradition ist.

Die Nachfrage nach Karten war unerwartet groß. Rund 90 Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten eng zusammengerückt, als die Autorin Hanne Ørstavik auf Norwegisch aus ihrem zur Buchmesse erschienen Roman „Die Zeit, die es dauert“ kurze Passagen vorlas. Die eher zurückgenommene Stimme, die fremd anmutenden Laute der norwegischen Sprache machten neugierig auf das, was hier gelesen wurde.

Hanne Ørstavik las in ihrer Muttersprache Norwegisch, und Andreas Donat übersetzte.

In seinem einfühlsamen, ruhigen Vortrag aus der deutschen Ausgabe des Buches vermittelte der Übersetzer Andreas Donat einen Eindruck von der konzentrierten und kraftvollen Sprache, in der Hanne Ørstavik die Handlung ihres Romans psychologisch entwickelt und dicht erzählt. In ganz einfacher Sprache schildert die Autorin die grausamen Folgen eines kalten Schweigens in der Familie, wo die Tochter einer aus nicht erklärten Gründen harten Mutter 30 Jahre braucht, um ihr eine Bitte abzuschlagen – den Weihnachtsabend bei ihr zu verbringen. 30 Jahre, “Die Zeit, die es dauert”, bevor sie dieser Mutter ein “Nein” entgegenzusetzen wagt. Im Publikum war es totenstill. Spannung ohne Dramatik, aber voller Mitleid und Hilflosigkeit. Eine großartige Lesung.

Ein runder Fontane-Abend

Das „Fontane-Trio“ mit René Hofschneider, Anna Barbara Kastelewicz und Ulugbek Palvanov.

Der ungewöhnliche Blick auf Theodor Fontane im Zusammenspiel von Literatur und Musik begeisterte die rund 100 Besucher bei unserer musikalischen Lesung in der Hofheimer Stadthalle anlässlich des 200. Geburtstages des berühmten Schriftstellers aus Neu-Ruppin.

Fundiert recherchiert trug Schauspieler René Hofschneider Texte des „preußischen Europäers“ vor, der, bevor er im hohen Alter seine großen Gesellschafts-Romane „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ schrieb, als Apotheker, Journalist und London-Korrespondent sowie Reiseschriftsteller wirkte. Charmant und dramaturgisch im Einklang mit den Texten präsentierten dazu im Wechselspiel Anna Barbara Kastelewicz mit der Violine und Ulugbek Palvanov am Flügel Musikstücke unter anderem von Beethoven, Schumann, Rachmaninov und Telemann. ML

Abschied von Dr. Erika Haindl

In ihrer Festrede zum 50-jährigen Bestehen des Kunstvereins hatte Dr. Erika Haindl an dessen Gründung erinnert: „Hofheimer Künstler feierten wieder einmal im Hause der Schwestern Martha und Madelaine Hoepffner. Irgendwann rief Herrmann Haindl: ‚Wisst ihr was? Wir gründen einen Kunstverein!‘ In der heiteren Stimmung wurde diese Idee zu einem Ball, mit dem es sich herrlich spielen ließ. Der Ball wurde immer bunter und stand irgendwann wie eine Wunderblume über unseren Köpfen und entfaltete immer bewegendere Formen. Es schien, als segelten diese zum Fenster hinaus zu anderen Menschen, die ebenfalls für ungewöhnliche Ideen empfänglich waren.“

Diese Worte spiegeln die Facetten dieser ungewöhnlichen Frau wider, wie wir sie gekannt haben: humorvoll, phantasievoll, verspielt, klug und immer am kulturellen und politischen Diskurs interessiert. Am 28. April ist Erika Haindl einen Tag nach ihrem 88. Geburtstag verstorben.

Sie vertrat einen weiten Kunstbegriff, der sich nicht auf die ästhetische Erfahrung im privaten Raum beschränkte. Natürlich sollte Kunst Anlass zur Reflexion sein, Medium zum Vor- und Nachdenken. Kunst sollte aber auch als Grund zur Aufregung gesehen werden, als Möglichkeit der Einmischung dienen. Diese Überzeugung hat Erika im Kunstverein gelebt und darüber hinaus in ihren zahlreichen Initiativen im öffentlichen Raum verwirklicht.

Nur zwei Beispiele, wie sie mit unermüdlichem Engagement und langem Atem für die Wahrung von kulturellem Erbe und für die lebendige Auseinandersetzung mit Kunst eintrat: Als 1. Vorsitzende des Kunstvereins engagierte sie sich gegen den Abriss der Altstadt und vertrat auch als Mit-Begründerin der „Bürgervereinigung Hofheimer Altstadt“ und Mitglied der Altstadtkommission aktiv die Bewahrung des historischen Erbes Hofheims. Die Sanierung des Bauerngehöftes des Ehepaars Haindl setzte einen ersten und entscheidenden Meilenstein für den Erhalt der Altstadt. Es wurde Wohnort und Ort kultureller Veranstaltungen zugleich. Auch das zeigt, wie sehr Erika ihr Verständnis von Kunst und Kultur lebte.

Die Idee eines eigenen Museums für die Kreisstadt, das die bewegte künstlerische Vergangenheit reflektiert, aber auch das aktive kulturelle Leben widerspiegelt, lag ihr am Herzen. In ihrer Zeit als 1. Vorsitzende des Kunstvereins hat sie im Arbeitskreis der Stadt maßgeblich an der Ausgestaltung des Museums mitgewirkt hat. Für diese und zahllose weitere Aktivitäten im kulturellen Bereich ist sie verdientermaßen vielfach ausgezeichnet worden.

Wir nehmen Abschied von Erika Haindl, einer außergewöhnlichen Frau, die den Menschen und den gesellschaftlichen Herausforderungen grundsätzlich und menschlich zugewandt war.